Fitzcarraldo – Werner Herzog and the Burden of History
Prof. Dr. Christopher Balme
Werner Herzogs Fitzcarraldo (1982) gehört zu denjenigen Filmen, die sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. Die dem Film zugrunde liegende größenwahnsinnige Tat, bei welcher der Regisseur Werner Herzog einen 300 Tonnen schweren Flussdampfer über einen dicht bewaldeten Höhenrücken mitten im Amazonas transportieren ließ, steht für äußerste künstlerische Radikalität und Kompromisslosigkeit, Wesensmerkmale, die den Künstler seit der Romantik auszeichnen. Der enge Bezug zwischen Kunst und Leidenschaft lässt sich auf verschiedenen Ebenen in diesem ungewöhnlichen Film untersuchen. Auf der Ebene der erzählten Geschichte verfolgen wir die Obsession der Hauptfigur, Brian Sweeny Fitzgerald, mitten im Amazonas, ein Opernhaus zu errichten, damit der große Caruso dort auftreten kann. Die Darstellung der Figur durch Klaus Kinski ist, wie immer bei Kinskis Arbeiten mit Herzog, eine schauspielerische Gratwanderung in extremis. Die eigentliche Passion ist jedoch die des Filmemachers Herzog. Fitzcarraldos Vorhaben ist selbst eine Allegorie der Ungeheuerlichkeit, die den Prozess des Filmemachens nach Herzogscher Art auszeichnet. Bei hochgefährlichen Dreharbeiten, die sich ständig am Rande der Katastrophe in einem politisch und ökologisch hoch sensiblen Teil Perus befanden, stellt sich eine zentrale ethische Frage. Inwieweit kann und soll der Absolutheitsanspruch künstlerischen Wollens – sowohl des Fitzcarraldo als auch des Werner Herzog – an dem historischen und politischen Erbe des westlichen Kolonialismus und Imperialismus gemessen werden? Können oder sollen Parallelen zwischen der räuberischen Ausbeutung des Gebiets durch den historischen Kautschukbaron Carlos Fermin Fitzcarrald und der künstlerischen Großtat Werner Herzogs gezogen werden? Gestützt durch eine anhand der postkolonialen Theorie entwickelte Perspektive wird eine Re-Lektüre des Films entlang dieser Fragen unternommen.