Department Kunstwissenschaften
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RASMUS CROMME, DOMINIK FRANK: Aktenzeichen BRD - Kunst und Politik im Nachkriegsdeutschland am Beispiel der Bayerischen Staatsoper

Der Nationalsozialismus hatte im Rahmen des Konzepts der Gleichschaltung alle Bereiche des Lebens vereinnahmt. Auch die oft als „unpolitisch“ apostrophierte Kunstform Oper war willfährige Komplizin des Hitler-Regimes. Nach Kriegsende wurde in Deutschland die sogenannte „Stunde Null“ ausgerufen: Die Nürnberger Prozesse, Entnazifizierungsverfahren, „Persilscheine“ sind Schlagwörter dieser Zeit. Die Zeichen standen auf Bruch mit der Vergangenheit und Neuanfang. Selbstverständlich war dieser eine Chimäre. Zahllose personelle und institutionelle Kontinuitäten prägten das Bild der Bundesrepublik Deutschland, bis hin zum dritten Bundeskanzler der Republik, dem CDU-Politiker und ehemaligen NSDAP-Mitglied Kurt Georg Kiesinger.

Auch die Theater in Deutschland waren von dem Zwiespalt zwischen Vergangenheitsbewältigung und Neuanfang betroffen. Spätestens seit Theodor Adorno hat sich die Haltung durchgesetzt, dass jede Kunst ein Abbild der Gesellschaft ist, in der sie produziert wird. Kunst ist damit eminent politisch.

Die Bayerische Staatsoper hat ein Forschungsprojekt in Auftrag gegeben, in welchem die Geschichte des Hauses in den Jahren 1933 („Machtergreifung“ der Nationalsozialisten) bis 1963 (Wiedereröffnung des im Krieg zerstörten und dann wiederaufgebauten Nationaltheaters) unter politischen, institutionsgeschichtlichen und ästhetischen Blickwinkeln untersucht wird. In der an das Forschungsprojekt angeschlossenen Projektübung soll vor allem die Zeit nach 1945 im Fokus stehen: Welche personellen Kontinuitäten und Brüche gab es am Haus? Wie konnte der unter den Nationalsozialisten erfolgreiche Operndirektor und mit vielen NS-Größen befreundete Rudolf Hartmann nach dem Krieg Intendant werden? Wurde in der jungen BRD eine neue Opernästhetik begründet oder berief man sich weiter auf das Konzept der „unpolitisch-werktreuen“ Ausstattungsinszenierung? Oder beeinflusste Wieland Wagners Neu-Bayreuther Stil der leeren Bühne auch München, die ehemalige „Hauptstadt der Bewegung“? Wurden Sängerkarrieren durch Entnazifizierungsverfahren beendet? Wurde das im NS verbotene Repertoire jüdischer und als „entartet“ titulierter Komponisten nun verstärkt auf die Spielpläne gesetzt? Welche Diskussionen rankten sich um den Wiederaufbau des Hauses im alten Stil und warum wurde – im Gegensatz zum Rest von Deutschland – in München nicht auf moderne Architektur gesetzt?

Die Projektübung, angesiedelt an der Schnittstelle von Zeitgeschichte, Politik- und Theaterwissenschaft, vermittelt einen zeitgeschichtlichen Überblick über die Zeit der jungen BRD aus theaterhistoriographischer Perspektive. In diesem Rahmen sind mehrere Exkursionen, unter anderem ins Münchener Nationaltheater, das NS-Dokuzentrum sowie zum NSU-Prozess vorgesehen. Darüber hinaus soll von den Studierenden anhand von Archivrecherchen (etwa Bayerisches Staats- sowie Hauptstaatsarchiv, Münchner Stadtarchiv, Monacensia, Deutsches Theatermuseum) in Arbeitsgruppen anhand von Fallbeispielen ein eigenes kleines Forschungsvorhaben (etwa zu Produktionen und betei­­ligten Sängern, Regis­seu­ren, Bühnenbildnern, Inten­danten, Künstlerischen Leitern oder Archi­tek­ten des Wiederaufbaus) erarbeitet, durchgeführt und abschließend präsentiert werden. Konkret beinhaltet dies die Sichtung und Auswertung von Personal- und Werkakten, Schriftwechseln, Fotodokumentationen u.ä. sowie ggf. die Erstellung eines Spielplan-/Pressespiegels.

Im Seminar wird die Reflexion der Archivrecherchen u.a. durch die Diskussion historiographischer und theoretischer Texte gestützt. Hinzu kommen als Folie vergleichende Betrachtungen, wie in der BRD andere Kunst- und Theatersparten mit der eigenen, kollektiven, nationalen jüngsten Vergangenheit umgingen oder sich ästhetisch von ihr absetzten – nachzuvollziehen z.B. anhand der Lektüre einiger Stücke aus den Bereichen Dokudrama, absurdes Theater und kritisches Volksstück.